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Ledige Mütter aus gutem Haus

Am 28. Mai 1814 schrieb der Gastwirt Christian Friedrich Blume einen Brief an Sigismund Germann, den Direktor des Lobstädter Patrimonialgerichts. Am Vortag sei ihm, hieß es darin, „durch einen sehr bekannten Herrn eine Dame zugeschicket worden, welche hier in Lobstädt ihre Niederkunft abwarten soll.“ Die Schwangere, erläuterte Blume, „wäre von sehr guter Familie.“ Der „Ort ihrer Niederkunft“ solle aber „der Familienverhältnisse wegen“ ebenso „geheim bleiben“ wie der Name der Frau. Blume bat deshalb den Gerichtsdirektor darum zu gestatten, dass sie sich während ihrer Schwangerschaft in Lobstädt aufhalte. Gerichtsdirektor Germann kam dieser Bitte nach, forderte von Blume jedoch, dieser möge dafür bürgen, dass der Gemeinde durch den Aufenthalt der „angezeigten Person“ keine Kosten oder Nachteile entstünden.

Der Vorfall illustriert, dass damals uneheliche Schwangerschaften nicht nur im Volk, sondern auch bei wohlhabenden und adligen Frauen vorkamen. Um das zu vertuschen wurden diese von ihren Familien oft in weit entfernte Orte geschickt. Dies erfolgte rechtzeitig, das heißt, bevor man ihnen ihren Zustand ansah. Nachdem ihr Kind das Licht der Welt erblickt hatte, wurde es nicht selten in fremde Obhut gegeben.

Auch von berühmten Gestalten der Literaturgeschichte weiß man, dass sie in solche Vorgänge verwickelt waren. 1782 erwartete Auguste Leonhard ein Kind des Dichters Gottfried August Bürger. Dieser aber war mit ihrer älteren Schwester Dorette verheiratet. Um den guten Ruf aller Beteiligten zu wahren, lebte Auguste Leonhard während ihrer Schwangerschaft in Langendorf bei Weißenfels. Ihr Sohn August Emil kam in Leipzig zur Welt und wuchs in Weißenfels bei der Familie von Bürgers Schwester auf.

Politische Brisanz wies ein Fall auf, der sich in unserer Region abspielte und Caroline Böhmer betraf, die später in ihrer zweiten Ehe mit August Wilhelm Schlegel und in ihrer dritten mit Friedrich Wilhelm Schelling verheiratet war. Am 3. November 1793 brachte sie in Lucka heimlich einen Sohn zur Welt. Dessen Vater war ein Offizier der französischen Revolutionsarmee, den sie während der Jakobinerherrschaft in Mainz kennen und lieben gelernt hatte. Nach Lucka, in dieses, nach ihren eigenen Worten „kleine grabesstille Landstädtchen“, hatte sie Georg Joachim Göschen, der Verleger und Freund Friedrich Schillers, gebracht. Aus ihren Briefen wissen wir, wie es einer Frau damals erging, die sich vor aller Welt verbergen musste. „Man hält mich für ein verworfenes Geschöpf und meint“, schrieb Caroline an einen Freund, „es sei verdienstlich, mich vollends in den Boden zu treten.“

Auch der Aktentitel, unter dem der Gerichtsdirektor Germann den Brief des Lobstädter Gastwirts Blume und seine Aufenthaltsgenehmigung ablegte, drückt deutlich aus, wie man in der Öffentlichkeit über Frauen, die in eine solche Lage kamen, urteilte. Er lautet: „Christian Friedrich Blumens Verbürgung wegen des von einer streunenden Frauensperson heimlicherweise zu gebärenden Kindes.“

Geschrieben von Dr. Hans-Jürgen Ketzer (2001)